Bewegungs- und Gesundheitsförderung Nr. 25 / Juni 2025 BEWEGUNGSMEDIZIN Fachthema: Orthopädische Erkrankungen der Schulter Aus der Physiotherapie: Das Schultergelenk in der Physiotherapie SFGV – Aktuell: Rückblick auf den GesundheitsTag 2025 Schweizweit trainieren: Kostenloses Gasttraining an 300 zertifizierten Standorten!ANZEIGEInhalt Inserate Claude Ammann, c.ammann@sfgv.ch, 079 478 12 63 Urs Rüegsegger, u.ruegsegger@sfgv.ch, 079 743 89 58 Roland Steiner, r.steiner@sfgv.ch, 043 388 41 44 Koordination Joerg Kressig Auflage 3600 Exemplare Korrektorat / Lektorat Ursula Thüler «Bewegungsmedizin» Die Fachzeitschrift mit Brancheninformationen für Einzelunternehmen der Fitness- und Bewegungsbranche Herausgeber Schweizerischer Fitness- und Gesundheitscenter Verband SFGV Arbeitgeberverband für Einzel-Fitnesscenter-Unternehmungen Geschäftsstelle, 3000 Bern Redaktion Claude Ammann, Anya Aubert, Irene Berger, Kilian Käppeli, Urs Rüegsegger, Roland Steiner, Thomas Tholey Chefredaktion André Tummer Produktion DIVERSUM Verlag Redaktionsadresse Schweizerischer Fitness- und Gesundheitscenter Verband SFGV Geschäftsstelle, 3000 Bern – a.tummer@sfgv.ch, Telefon 0848 893 802 Editorial 5 Fachliche Informationen Bewegungs- und Gesundheitsförderung Orthopädische Erkrankungen der Schulter 6 Erfolgreiche Umsetzung der SFGV-Tools Interview mit Raffael Rico vom «SportGYM» in Aarburg AG 16 Berufsbild: Aus- und Weiterbildung / Bewegungs- und Gesundheitsförderung Berufsprüfungen 2025 20 Im Gespräch mit Ansuri Fouché 22 Interview mit SwissSkills-Athleten – Teil 2 26 Aus der Physiotherapie Das Schultergelenk in der Physiotherapie 32 SFGV – Aktuell Der SFGV unterstützt schweizweit die Kampagne «Bin kein Baby» 40 Sounding Board zur Totalrevision EFZ Bewegungs- und Gesundheitsförderung 42 Der SFGV setzt sich mit Erfolg für seine KMU ein 44 GesundheitsTag 2025 46 «GESUND UND FIT» – das Magazin für mehr Lebensfreude 50 SFGV – Fitness-Guide und Jobplattform Ganzheitliche Gesundheit im Fokus 54 Buchtipp Pathologien am Bewegungsapparat und ihre trainingstherapeutischen Konsequenzen 56 Ganz persönlich Zehn Fragen an Joel Grolimund 58 Besuch bei Marcel Pesse im «Athena Fitnesspark» in Solothurn 60 Die Seiten unserer Partner 62 SFGV im Überblick Neue Mitglieder 76 Organisationsstruktur und Dienstleistungen des SFGV 78 Design / Prepresse Astrid AffolterAN EXPERIENCE FOR THE SENSES | matrixfi tness.eu Johnson Health Tech. GmbH | Europaallee 51 | D-50226 Frechen | Tel: +49 (0)2234 9997 100 Johnson Health Tech. (Schweiz) GmbH | Riedthofstr. 214 | CH-8105 Regensdorf | Tel: +41 (0) 44 843 30 30 Zweigniederlassung Österreich | Mariahilfer Straße 123/3 | A-1060 Wien | Tel:+43 (0) 664 23 506 97 Bewegungsmedizin – Nr. 25 / Juni 2025 ANZEIGELiebe Leserin, lieber Leser Machen wir ein kleines Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Ihre Bank würde Ihnen jeden Morgen 86 400 Franken auf Ihr Konto überweisen. Diese Überweisung wäre jedoch an zwei Regeln geknüpft: 1. Alles, was Sie im Laufe des Tages nicht ausgegeben haben, nimmt die Bank Ihnen wieder weg. Sie dürfen das Geld nicht einfach auf ein anderes Konto überweisen und sparen, Sie können es nur ausgeben. Aber jeden Morgen ist der Betrag von 86 400 Franken wieder auf Ihrem Konto. 2. Die Bank kann jederzeit und ohne Vorwarnung die Überweisung einstellen und das Konto schliessen. Was würden Sie nun tun? Sie würden sich alles kaufen, was Sie möchten? Nicht nur für Sie selbst, auch für andere Menschen in Ihrem Umfeld, oder sogar für Menschen, die Sie gar nicht kennen, da Sie ja nie alles für sich allein ausgeben könnten ... Sie würden versuchen jeden Rappen zu nutzen, oder nicht? Wahrscheinlich denken Sie jetzt, was dieser Unsinn soll, aber eigentlich hat jede und jeder von uns so eine «magische Bank», denn Sie müssen nur das Wort «Franken» durch «Sekun- den» ersetzen. Jeden Morgen, wenn wir aufwachen, bekommen wir 86 400 Sekunden Leben für den Tag geschenkt, aber wenn wir am Abend einschlafen, wird uns die ungenutzte Zeit nicht gut- geschrieben. Was wir an diesem Tag nicht gelebt haben, ist für immer verloren, das Gestern ist vergangen. Jeden Morgen beginnt sich das Lebenszeitkonto neu zu füllen, aber Ihr Zeitkonto kann auch ohne Vorwarnung jeder- zeit aufgelöst werden. Was fangen Sie also mit Ihren täglichen 86 400 Sekunden an? Viele Menschen würden wohl auf die Frage «Wollen Sie mehr Zeit haben?» mit einem überzeugten «Ja» antworten. Aber es zeigt sich schnell, das dies eine rein rhetorische Frage ist. Es ist unmöglich, mehr Zeit zu bekommen. Jeder Mensch hat genau gleich viel Zeit, nämlich 24 Stunden am Tag. Und egal, wie effi- zient wir uns und unsere Arbeit managen, diese 24 Stunden kön- nen nicht vermehrt werden. So gesehen ist die Aussage «Ich habe keine Zeit» immer falsch. Sie bedeutet eigentlich «Dafür nehme ich mir keine Zeit». Deshalb ist auch der Begriff «Zeitmanagement» nicht korrekt, es geht um den persönlichen Umgang mit der Zeit, also das «Selbstmanagement». Vielleicht nutzen Sie diese kleine Geschichte, wenn Ihre Kundinnen und Kunden wieder einmal mit der Ausrede kommen, sie hätten keine Zeit für ihr Training. Überdenken Sie aber auch Ihr eigenes Verhalten. Nehmen Sie sich wirklich genug Zeit für die wichtigen Dinge Ihres Lebens? Viel Vergnügen bei der Lektüre der 25. Ausgabe von «BEWEGUNGSMEDIZIN»! André Tummer Chefredaktor Editorial Die magische Bank Bewegungsmedizin – Nr. 25 / Juni 2025 5Orthopädische Erkrankungen der Schulter Fachliche Informationen Bewegungs- und Gesundheitsförderung Bewegungsmedizin – Nr. 25 / Juni 2025 6Funktionelle Anatomie Da der Schultergürtel ein recht komplexes System ist, soll zu- nächst nochmals die funktionel- le Anatomie im Detail dargestellt werden. Die Skelettelemente des Schultergürtels sind die Verbin- dung der Arme zum Rumpf. Im Vergleich zum Beckengürtel, der als Verbindung zu den Beinen eine starre, hoch belastbare Einheit mit der Wirbelsäule bildet, stellt der Schultergürtel eine sehr be- wegliche Konstruktion dar, die mit dem Rumpfskelett nur zum Brustbein hin gelenkig verbunden ist. Seine Anteile sind das Schlüsselbein (Clavicula) und das Schulterblatt (Scapula), das die Gelenkpfanne für die Aufnahme des Oberarms trägt. Das Schlüs- selbein ist mit einem inneren Gelenk (Articulatio sternoclavicula- ris) mit dem Brustbein verbunden. Ein äusseres Gelenk (Articula- tio acromioclavicularis) stellt die Verbindung zum Schulterblatt her. Da der Schultergürtel quasi am Articulatio sternoclavicularis «aufgehängt» ist, ist dieses Gelenk durch zahlreiche Bänder gesi- chert. Das eigentliche Schultergelenk (Glenohumoralgelenk) ist ein Kugelgelenk, das vom Oberarmknochen (Humerus) und der Gelenkpfanne des Schulterblatts (Scapula) gebildet wird. Die Ge- lenkpfanne des Schulterblatts ist in etwa so gross wie ein Zwei- frankenstück. Auch wenn sie durch eine Gelenklippe (Labrum) vergrössert ist, ist sie kleiner als der Gelenkkopf des Oberarms. Die Gelenkkapsel des Schultergelenks ist weit und schlaff, sodass sie der allseitig guten Beweglichkeit keinen Widerstand entge- gensetzt. Auch die Bandsicherung ist relativ gering. Zu nennen ist hier das Ligamentum oracoacromiale, das den Oberarmkopf dachartig überspannt. Beim Aufstützen auf den Arm drückt der Humeruskopf von unten dagegen, sodass er aufgrund der flachen Gelenkpfanne nicht nach oben aus der Pfanne gleiten kann. Die Abduktionsbewegung des Armes wird durch dieses Band be- grenzt. Ein seitliches Anheben des Arms ist nur bis zu einem Win- kel von 90 Grad möglich. Ein weiteres Anheben erfordert die Mit- bewegung des Schulterblatts (Aussenrotation). Durch die kombinierten Bewegungen von Oberarm, Schul- terblatt und Schlüsselbein sind grosse Bewegungsamplituden möglich. In Tabelle 1 sind die durchschnittlichen Amplituden je Bewegungsrichtung aufgeführt. Beschwerden im Schulter- und Nackenbereich sind weit verbreitet. Dabei sind Überlastungen aufgrund von Fehlhaltungen weitaus häufiger anzutreffen als Einschränkungen, die durch spezifische Verletzungen verursacht sind. Dieser Artikel soll einen Überblick über ausgewählte Schulterbeschwerden geben, damit in der Trainingstherapie die richtigen Massnahmen ergriffen werden können. André Tummer Bewegungsmedizin – Nr. 25 / Juni 2025 7Fachliche Informationen Bewegungs- und Gesundheitsförderung BewegungDurchschnittliche Amplitude Flexion (frontales Anheben nach vorne; Anteversion)150–180 Grad Extension (Anheben rückwärts; Retroversion)40 Grad Abduktion (seitliches Anheben)160–180 Grad Horizontale Adduktion (Nullstellung = Arm 90 Grad vorne angehoben)40–50 Grad Horizontale Abduktion130–160 Grad Innenrotation in Neutralstellung (Oberarm «hängt» gerade nach unten)70 Grad Aussenrotation in Neutralstellung60–70 Grad Horizontale Innenrotation (Nullstellung Arm 90 Grad seitlich angehoben)70 Grad Horizontale Aussenrotation90 Grad Elevation (SC-Gelenk)40 Grad Depression (SC-Gelenk)10 Grad Protraktion (SC-Gelenk)30 Grad Retraktion (SC-Gelenk)30 Grad Tab. 1: Auswahl durchschnittlicher Bewegungsamplituden im Schultergürtel Muskeln vom Rumpf zum Schultergürtel M. trapezius (pars descendens, transversa, ascendens) Bei Kontraktion der einzelnen Teile wird das Schulterblatt nach oben (Elevation), zur Wirbelsäule hin (Retraktion) oder nach unten (Depression) gezogen. Kontrahieren alle 3 Teile, werden die Schulterblätter nach hinten gezogen, der Kopf nach hinten geneigt und die Wirbelsäulenstreckung unterstützt. Mitwirkung bei der Drehung des Schulterblattes. M. rhomboideus Bei Kontraktion nähern sich die Schulterblätter einander an. Hält die Schulterblätter gegen den Thorax (mit Hilfe des M. serratus anterior). M. levator scapulaeHebt die Schulterblätter an. Bei fixiertem Schultergürtel: Mitwirkung bei der Seitneigung der HWS. M. pectoralis minor Kann das Schulterblatt ein wenig senken. Vor allem aber fixiert er das Schulterblatt gegen die Thoraxwand. Bei fixiertem Schultergürtel: Atemhilfsmuskel. M. serratus anterior Der ganze M. serratus anterior zieht das Schulterblatt nach vorne (Protraktion) bzw. hält dieses am Brustkorb. Bei fixiertem Schultergürtel: Atemhilfsmuskel. Tab. 2: Zusammenfassung der Muskeln, die vom Rumpf zum Schultergürtel ziehen, und deren Hauptfunktionen Muskeln vom Rumpf zum Oberarm M. pectoralis major Kräftige Adduktion und Innenrotation des Oberarms. Den erhobenen Arm zieht er nach unten, den rückgeführten Arm zieht er nach vorne. Bei fixierten Oberarmen: Atemhilfsmuskel. M. latissimus dorsi Kräftige Adduktion und Innenrotation des Oberarms. Führt den Arm nach hinten. Feste muskuläre Verspannung des Armes gegen den Rumpf (in Ergänzung mit dem Pectoralis major) im Hang und im Stütz. Tab. 3: Funktionen der Muskeln vom Rumpf zum Schultergürtel Bewegungsmedizin – Nr. 25 / Juni 2025 8Die hohe Beweglichkeit hat jedoch ihren Preis, denn die fehlende Knochen- und geringe Bandsicherung führt zu einer hohen La bilität, deshalb kann der Oberarm relativ leicht luxiert werden. Die Gelenksicherung erfolgt grösstenteils muskulär. Kraft allein reicht dabei nicht aus. Damit eine opti male, belastbare und verletzungsfreie Schultergelenkbewegung ge- währeistet werden kann, muss das Schulterblatt immer im richti- gen Winkel zum Oberarm stehen, ansonsten wird die Kontakt- fläche Oberarm-Schulterblatt noch kleiner. Neben Kraft ist also auch eine hohe Bewegungskompetenz im gesamten Schulter- gürtel von absoluter Relevanz. Durch die in Tabelle 2 aufgeführten Muskeln kann das Schulterblatt in alle Richtungen bewegt, aber auch allseitig fixiert werden. Die Fixierung des Schultergürtels ist immer dann not- wendig, wenn bei Bewegungen des Arms unterwünschte Mitbe- wegungen des Schulterblatts vermieden werden sollen. Jeweils zwei Muskeln dieser Gruppe lassen sich somit zu einer gemein- sam arbeitenden «Muskelschlinge» kombinieren. Das Prinzip der Muskelschlinge besteht darin, dass ein Muskel die Bewegung im Gelenk ausführt, während der andere Muskel die Ausweichbewe- gung in die Gegenrichtung fixiert. Die Muskelschlingen des Schultergürtels sind demnach: – M. levator scapulae-M. trapezius pars ascendens-Schlinge – M. trapezius pars descendens-M. pectoralis minor-Schlinge – M. trapezius pars transversa-M. serratus anterior-Schlinge – M. rhomboideus-M. serratus anterior-Schlinge Tabelle 3 beschreibt die Funktionen der beiden Muskeln, die vom Rumpf zum Oberarm ziehen. Sie stellen eine hochbelast- bare Verbindung dar und sind bei allen Bewegungen des Armes gegen den Rumpf (beispielsweise Wurf / Stoss) bzw. des Rumpfes gegen den fixierten Arm (beispielsweise Barrenturnen / Stütz) beteiligt. Schliesslich sind in der Tabelle 4 noch die Funktionen der Muskeln aufgelistet, die vom Schultergürtel zum Oberarm ziehen. Allen gemeinsam ist, dass sie über eine geringe Hebelwirkung verfügen und die produzierbaren Drehmomente nicht sehr gross sind. Die wesentliche Aufgabe dieser Gruppe ist die Sicherung des Schultergelenks. Das Verständnis der bisher erläuterten anatomischen Zu- sammenhänge ist unabdingbare Voraussetzung, um eventuelle Überlastungsbeschwerden und die damit zusammenhängenden Anpassungen im Training ableiten zu können. Muskeln vom Schultergürtel zum Oberarm M. deltoideus (pars calvicularis, acromialis, spinalis) Pars clavicularis: führt Arm nach vorne (Ante- version), Beteiligung an Innenrotation. Pars spinalis: führt Arm nach hinten (Retrover sion), Beteiligung an Aussenrotation. Beide gemeinsam mit Pars acromialis: Abduktion des Oberarms. M. supraspinatus Unterstützt die Abduktion bis zu einem Winkel von ca. 30 Grad. M. teres majorInnenrotation des Oberarms M. subscapularisInnenroation des Oberarms M. teres minorAussenroation des Oberarms M. infraspinatusAussenroation des Oberarms M. coracobrachialisBeteiligung an der Anteversion des Oberarms M. biceps brachiiBeteiligung an der Anteversion des Oberarms M. triceps brachii Fixierung des Oberarms in die Gelenkpfanne (langer Kopf) Tab. 4: Funktionen der Muskeln vom Schultergürtel zum Oberarm Tipps zur direkten Umsetzung: Sorgen Sie dafür, dass Ihr Trainerteam die Komplexität des Schultergürtels verstanden hat. Nutzen Sie die auf geführten Tabellen, um dies bei Ihren Mitarbeitenden zu überprüfen. Etwaige Wissenslücken lassen sich mithilfe der im Anhang aufgeführten Literatur beheben. 9 Bewegungsmedizin – Nr. 25 / Juni 2025Next >